Boddenabenteuer - Segelclub Schloßbucht Schwerin e.V.

53°37'N  11°25'E
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Boddenabenteuer

Mit dem Jollenkreuzer durch die Vorpommersche Boddenlandschaft

Herrgottsakrament noch mal. Ich könnte schreien vor Wut, oder besser noch das verfluchte Boot mit dem Hackebeil in kamingerechte Scheite zerlegen. Es sollte doch alles so schön werden: Zehn Tage frei von Beruf und Familie, vier abenteuerhungrige Jungs, zwei Jollenkreuzer und ein Revier. Die Vorpommerschen Bodden mit ihren Buchten, Inseln und Halbinseln sollten es werden. Rügen, Darß, Hiddensee – von Land und auf Charterbooten habe ich hier schon alles gesehen, aber einmal auf eigenem Kiel, dass war die Idee, die jetzt hinweggeschwemmt wird vom brackigen Boddenwasser, das langsam die Bodenbretter aufschwimmen lässt. Seit fünf Jahren stecke ich nun viel Geld und noch mehr Zeit in dieses eigentlich nur winzige Stück Holz. In diesen fünf Jahren habe ich nach und nach aus einem an Land stehenden Wrack eine Mahagonischönheit herausgeschält, die mir schon oft ein zustimmendes Nicken, oder ein „Holz finde ich ja wunderschön, aber macht ja doch viel Arbeit“ eingebracht hat. „Paula“ heißt das Schmuckstück. 6,5 Meter lang, 2,3 Meter breit, ein mehr als 40 Jahre alter, in Leistenbauweise gefertigter 15er Jollenkreuzer. Aber was „Paula“ mir jetzt antut, schreit nach Scheidung. Vor nicht einmal 20 Minuten haben wir das Schiff vom Trailer aufschwimmen lassen. Mast stellen, Wanten anziehen und beladen. Doch da schwimmen sie in der kleinen Kajüte umher, die klarlackierten Mahagonibodenbretter, als wollten sie uns sagen „Kehrt um, geht zurück zu Euren Familien, kümmert Euch um Frau und Kind, statt mit den Jungs auf dem Wasser rum zu hängen“. Gestern noch schwamm „Paula“ an ihrem Stammliegeplatz, ohne den kleinsten Tropfen Wasser zu machen, einen Tag später in der Marina Neuhof bei Stralsund strömt das Wasser nur so herein. Einzige Erklärung: beim Trailern oder Slippen müssen wir wohl eine Planke eingedrückt haben. Also Mast wieder legen, Trailer holen, Boot raus. Ein richtiges Leck finden wir nicht, aber das noch im Boot befindliche Wasser verlässt es deutlich sichtbar zwischen den einzelnen Planken. Wir begeben uns auf die Suche nach einem Bootsbauer, der den rätselhaften Wassereinbruch mit etwas mehr Sachverstand als dem unseren lösen kann. Eine Werkstatt finden wir, aber der Chef ist unterwegs. Am Handy gibt es aber schon mal eine erste Entwarnung, „ist bestimmt nur ausgetrocknet, schmeißt das Schiff mal wieder ins Wasser und macht nichts weiter, ich komm später rum und schau mir das an“. Hoffnung keimt auf. Also Boot wieder rein, Mast gestellt, elektrische Bilgepumpe an und erst mal ein spätes Mittagessen im Marina-Restaurant. Tatsächlich erledigt sich das Problem nach etwa zwei Stunden von allein. Als der Meister wie versprochen am Nachmittag vorbeikommt, ist „Paula“ trocken gelegt, beladen und abreiseklar. Drei Stunden Autobahn bei 30 Grad und Sonnenschein haben das gute Stück so richtig trocken geföhnt. So schnell, wie sie ausgetrocknet ist, quillt „Paula“ jetzt wieder dicht. Holz ist schon ein erstaunlicher Baustoff.

Endlich geht’s los. Raus auf den Bodden. Vier bis fünf Windstärken aus Ost, nichts was wir nicht von unserem Heimat-Binnen-Revier kennen, aber an die Welle müssen wir uns erst noch gewöhnen. Die Aussichten für die nächsten Tage sind perfekt. Sonne satt, anfangs moderate Windstärken bis hin zum Starkwind mit stürmischen Böen aus Ost bis Nordost. Rund Rügen in einer Nussschale ist damit abgewählt. Schauen wir uns doch lieber in Ruhe die westlichen Bodden etwas genauer an. Beschlossen und verkündet, morgen geht es rund Hiddensee. Tagesziel heute: Rügens südlichster Hafen Altefähr. Also peilen wir die letzte Brückenöffnung der Stralsunder Ziegelgrabenbrücke an. Nicht dass wir diese nötig hätten. Ein großer Vorteil bei kleinen Booten ist schließlich das einfache Mastlegen und -stellen. Aber mit „geducktem“ Mast unter der neuen Rügenbrücke durchzufahren ist nicht unser Ding. Also lieber die zehn Minuten warten und mit den anderen großen Yachten durch die geöffnete Klappbrücke und dann erhobenen Hauptes unter der gleich dahinter liegenden imposanten Hängebrücke hindurchgleiten – wunderbar. Ich hoffe, es hat uns von oben jemand beobachtet.

Unser Tagesziel ist erreicht. Glücklich, dass der schon fast verloren geglaubte Urlaub doch noch beginnen kann, lassen wir Altefähr achter aus. Mit zum Abend weiter zunehmendem Wind geben wir noch mal Gas und lassen es auf dem bewegten Bodden richtig krachen. Ganz dicht ist „Paula“ aber immer noch nicht. Mit dem vielen überkommenden Wasser in der kabbeligen Boddenwelle verwandelt sich die Kajüte schnell in eine feuchte Tropfsteinhöhle. Sonne und Wind haben nicht nur den Rumpf ausgetrocknet, sondern sorgen auch an den Verbindungsstellen von Deck, Kajütaufbau und Rumpf für kleine Ritzen und Spalten. Bis es so richtig gemütlich im Boot wird, müssen wir es in den nächsten Tagen wohl erst trocken wohnen. Mit Sonnenuntergang drehen wir um und vertäuen uns gleich neben einer kleinen Flotte Folkeboote in der Marina Altefähr. Daneben sehen wir nicht ganz so winzig aus: Dennoch, wenn man von ein paar offenen Jollen absieht, ist „Paula“ das mit Abstand kleinste Boot im Hafen. Springt man für gewöhnlich vom Vordeck einer Yacht auf den Steg, so haben wir eine Kletterei nach oben. Abendbrot mit einer herlich farbenprächtigen Dämmerung und einem Blick auf die beleuchtete altehrwürdige Hansestadt Stralsund. Das ist der friedliche Ausklang eines glücklichen ersten Urlaubstages. Getrübt wird der positive Gesamteindruck einzig durch die nassen Polster in der Kajüte.

Da sich die Gemütlichkeit im Boot in Grenzen hält, sind wir früh auf und verteilen sämtliche Habseligkeiten auf dem Steg, damit die gerade aufgehende Sonne diese wieder in ihren trockenen Urzustand versetzt. Ein verblüffter Hafenmeister will uns doch tatsächlich nicht glauben, dass die auf dem Steg liegenden Berge plus Crew in das Winzboot passen. Naja, wir können es schließlich beweisen und nehmen sogar für den geplanten Tagestörn rund Hiddensee noch ein drittes Crewmitglied auf. Eine alte Freundin aus Stralsund kommt morgens mit der Fähre rüber, bringt frische Brötchen, gute Laune und etwas Segelerfahrung in den Gewässern ringsherum mit an Bord. Damit hat „Paula“ für diesen Tag einen Navigator. Mit strahlend blauem Himmel und wundervollen zwei Windstärken aus Ost legen wir ab. Kurs Hiddensee liegt an, mit Halbwind geht es durch eine sanfte Boddenlandschaft, die ihre Schönheit aus der Ruhe schöpft. Sie hat nichts atemberaubendes oder brachiales, wie die Norwegischen Fjorde oder die schwedischen Scheren. Alles ist weich, geht ineinander über. Man segelt so vor sich hin, lauscht der Ruhe und kann sich nicht genügend satt sehen an den vielen Buchten mit ihren Flachwasserbereichen, die bei entsprechender Windrichtung schon mal trocken fallen. Ein sanftes Gleiten durch ein sonniges Traumland. Zwischen Darß und Hiddensee geht es durch eine schmale Lücke hinaus auf die richtige, die echte Ostsee. Ende Mai ist das Wasser karibikblau und kristallklar. Wie aus der Reisewerbung sieht auch der kilometerlange schneeweiße Weststrand aus an dem wir entlang segeln. Nicht umsonst wird die schmale Insel „dat söte Länneken – das süße Ländchen“ genannt. Als Bollwerk gegen die westliche Ostsee schützt die 17 Kilometer lange, aber nur 250 Meter bis 3,7 Kilometer breite Insel Hiddensee die Westküste der viel größeren Insel Rügen. Ganz allmählich steigt das Eiland im Süden aus dem Wasser, zieht sich dann lange flach hin, bis sie im Norden sprunghaft bis auf 72 Meter über Null anwächst und in einer beeindruckenden Steilküste ihren Abschluss findet, bekrönt von einem bereits 1888 in Dienst gestellten 28 Meter hohen Bilderbuch-Leuchtturm. Eine Landschaft zum Jubeln. Nur die Wassertemperaturen mit gerade einmal 12 Grad passen nicht ganz ins Sommerbild. Der langsam auffrischende Ost und das noch kalte Wasser lassen uns die kurzen Hosen und Hemden gegen Faserpelz und Ölzeug tauschen. Mit der kleinen Fock und dem gerefften Großsegel sind wir bei drei bis vier Windstärken bestens betucht und haben noch reichlich Sicherheitsreserven. Die zwar hohe aber auch lange Dünnung, auf die wir treffen, ist dann nur zum jauchzen, so etwas hat die kleine „Paula“ noch nicht gesehen. So gehen wir auch nicht gleich rum ums Eck, sondern fahren erst einmal ein Stück in Richtung Horizont.

Mit dem Abbiegen in das schmale Fahrwasser zwischen Rügen und Hiddensee wird das Segeln dann wieder anspruchsvoller. Viele Tonnen, viel Verkehr und vor allem viel flaches Wasser, machen die Bodden knifflig. Folgender Wortwechsel zwischen Steuermann und Navigator ist belegt: Steuermann: „Sag´ doch mal, wo ist denn die nächste Tonne?“ Navigator (mit Seekarte in der Hand): „Einfach weiter geradeaus“. Steuermann: „Ich kann da aber noch keine Tonne sehen, oder meinst Du etwa die ganz hinten?“ Navigator: „Das ist die nächste, dazwischen kommt keine mehr“. Steuermann: „Das sieht doch aber aus, als wenn dort Land dazwischen ist“. Navigator: „Nein, das ist nur warme Luft, die flimmert“. Steuermann: „Bist Du Dir sicher?“ Navigator: „Natürlich, ich bin hier schon oft genug gesegelt“. Nun ist es seit vielen Hundert Jahren in der Seefahrt üblich, dass der Steuermann auf den Navigator hört und so kommt es wie es kommen muss. Erst scheppert da was im Schwertkasten, dann ein Knall am Ruder gefolgt mit dem Verlust der Steuerfähigkeit. Das Fall, das das Ruderblatt unten hält, ist bei der Grundberührung gerissen. Der Wind schiebt mit fünf Windstärken von hinten und wir haben kein Ruder mehr. Segel runter und mit dem Außenborder geht es mit einigem Geschepper wieder ins Fahrwasser zurück.

Das Fall ist schnell repariert, nur das Ego vom Navigator braucht etwas länger. Die Hiddenseer Möwen haben also doch keine zwei Meter langen Beine. Nach dem Grundmanöver ist insgesamt deutlich weniger Geplapper an Bord zu vernehmen, dafür wird nun intensiver und auch schon mal zu Zweit auf die Karte geschaut. Am Nachmittag bekommt der ohnehin schon frische Ostwind noch mal etwas Würze. Zusätzlich gibt uns auf den flachen Bodden die kabbelige Welle ordentlich die Kante.

Mittlerweile ist selbst die kleine Fock noch zu viel am Vorstag, also weg damit. Da passiert es. Beim Versuch des Einrollens rollt sich nicht das Segel ein, sondern der Vorstagsbeschlag aus. Sofort alle Schoten los! Mit Zange und Maulschlüssel bewaffnet geht’s kriechend auf dem wie wild bockenden Schiffchen zur Notreparatur nach vorne. Gefühlte Stunden später gelingt es, den Vorstagsbeschlag fürs erste wieder festzuziehen. Tatsächlich waren wir nur gerade eine halbe Schraubendrehung vom Verlust des Riggs entfernt. Nur mit der Fock und einem anhaltend mulmigen Gefühl im Magen geht es zurück in den Hafen von Altefähr, wo ein ereignisreicher Segeltag mit Pizza, einigen Reparaturen und diversen Konstruktionsdebatten ausklinkt.

Wir warten auf unser „Schwesterboot“. Die beiden noch fehlenden Miturlauber hatten ein wenig länger zu tun, haben sich aber zum Mittag im Strelasund angekündigt. Also in Ruhe Sachen trocknen, frühstücken, ein bisschen in der Gegend rumschauen. Am Vormittag macht dann in der Box neben uns ein erstaunliches Schiff fest  – eine 7mR aus den 20er Jahren. Eine mehr als 14 Meter lange, aber weniger als zwei Meter breite Nadel. Ein Seglertraum in Holz, perfekt restauriert. Neben dem Pärchen im Cockpit schlüpfen, eins, zwei, drei, vier, fünf Kinder im Alter so zwischen 5 und 14 aus der Kajüte. In dem entstehenden Wuhling muss dann auch gleich mal einer der kleineren Jungs von meinem beherzten Mitsegler aus dem kalten Hafenwasser gerettet werden. Die Eltern bleiben trotz des Malheurs entspannt, war wohl nicht das erste Mal. Der durchnässte und nur mäßig erschreckte Junge bekommt trockene Sachen und kann ob seines Abenteuers vor seinen Geschwistern angeben wie nichts. Derweil wird zwischen den Erwachsene kräftig gefachsimpelt. Obwohl zwischen den beiden Holzbooten am Steg ganze Universen liegen, fühlen wir uns doch als entfernte Verwandte einer langsam aussterbenden Familie. Da ist eine Zusammengehörigkeit spürbar, die über den normalen Seglerklüngel hinausgeht. Die Stralsunder Großfamilie nutzt fast jede freie Minute, um am Boot zu arbeiten oder noch viel lieber damit zu segeln. Der Sommertörn steht schon fest, es geht wieder in die schwedischen Ostschären. Da können wir mithalten, auch wenn unser Abenteuer „nur“ vor der Haustür liegt. Wir nutzen das herrliche Sommerwetter und segeln im Strelasund ein wenig hin und her, bis endlich der 20er Jollenkreuzer unserer kleinen Flottille mit gelegtem Mast unter der Rügenbrücke auftaucht. Da der Wind am nächsten Tag auf sieben bis acht Windstärken zunehmen soll, überlegen wir, in den geschützten Darßer Bodden abzubiegen.

Unser Tagesziel ist aber erst einmal der gemütliche Hafen Barhöft. Der ist dicht bei, also geht es vorher noch mal raus auf die Ostsee. Der Plan ist es, unsere Jollenkreuzer-Trumpfkarte mal so richtig auszuspielen. Mit hochgezogenem Schwert und Ruder haben wir gerade mal 30 Zentimeter Tiefgang. Das kann man nutzen und das muss man auch mal nutzen. So geht es gleich hinter der Nationalparkgrenze auf den Hiddenseer Strand. Da sich immer noch der wackere Ostwind hält, haben wir an dem windgeschützten Weststrand mitten im Mai Hochsommer. Im gerade mal knietiefen Wasser vertäuen wir die Boote an einer Buhnenreihe. Mit ausgiebigem Badengehen, mit gekühlten Mixgetränken, Nichtstun und Segelgeschichten-Erzählen wird ein herrlicher Sommernachmittag zelebriert.

Bevor wir am nächsten Morgen in See stechen, wollen wir uns noch einen kleinen Überblick über das Revier verschaffen. Etwas oberhalb des Hafens steht ein alter Armeeturm, der heute Zivilisten den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft näher bringt. Der Blick von oben ist der Hammer – das ganze Segelrevier liegt vor uns wie auf einer gigantisch großen Reliefkarte. Eben noch laut geschnauft, stellen wir übereinstimmend fest - die paar Stufen lohnen sich. Der Segeltag, der sich daran anschließt, lässt sich in einem Wort zusammenfassen – Hochsommer! Als Tagesziel wird der Ort Zingst auf der Seekarte angekreuzt, bei achterlichem Wind geht es stundenlang durch eine zauberhafte Boddenlandschaft. Die Ruhe ist fast schon ohrenbetäubend. Vor dem Wind wird uns so warm, dass wir zwischendurch immer mal ins Wasser hüpfen, uns hinterher ziehen lassen, und der Nächste bitte. In Zingst angekommen finden wir ein Stück hinter dem kleinen Stadthafen eine Marina, in die wir uns gleich vergucken. Im kleinen Hafenbecken liegt bereits ein 15er Jollenkreuzer, also befinden wir einstimmig: hier sind wir richtig. Keine Super-Mega-Hyper-Marina, sondern ein kleiner Hafen mit Charme. Hier darf auch der Hafenmeister noch ein richtiger Hafenmeister sein und nicht eine Servicekraft. Das Hafenmeisterbüro ist eine olle Werkstatt, in der der Chef mit ein paar Kumpels Kistenweise Bier vernichtet. Alles recht rustikal. Der Aufforderung uns wie zu Hause zu fühlen kommen wir ohne Zeitverzögerung nach.

Nach der bei Kleinstbootseglern obligatorischen Klobesichtigung erkunden wir den wirklich sehenswerten Ort. Der erstreckt sich vom Zingster Strom, also der Boddenseite, bis zum Nordstrand an der Ostseeküste. Vom Hafen bis zur Seebrücke sind es höchstens 15 Minuten zu Fuß. Auch dieser Tag klingt als richtiger Jungs-Sommer-Abend aus. Im Hafen mit Boddenblick, Grillen, Biertrinken, vom Steg ins Wasser Springen und Geschichten voll Seglerlatein.

Um dem angekündigten Starkwind aus dem Weg zu gehen, wollten wir ursprünglich noch weiter in die relativ geschützte Boddenlandschaft vorstoßen bis nach Ribnitz-Damgarten. Aber dazu muss die Meinigenbrücke passiert werden. Da eine Fahrspur über eine Ponton-Brücke geführt wird, sind wir selbst mit unseren Jollenkreuzern auf die Brückenöffnungen angewiesen. Und die sind mehr als bescheiden. Entweder 7.30 Uhr oder sonst erst wieder 19.00 Uhr. Abgewählt. Stattdessen bereiten wir uns langsam auf den Rückweg vor und peilen bei Starkwind für den nächsten Tag die nur wenige Seemeilen entfernte Hafenstadt Barth am gleichnamigen Bodden an.

Beim Frühstück am nächsten Morgen läuft eine kleine Überraschung in unseren Hafen ein: „Ronja“. In Holzboot-Kreisen ist der 15er Jollenkreuzer aus den goldenen 20er Jahren eine richtige kleine Berühmtheit. Das Kleinod wurde von zwei Räubertöchtern mit viel Engagement wieder aufgemöbelt. Von den beiden Schwestern ist aber nur eine an Bord, dafür mit Freund. Es wird geguckt, gefachsimpelt und verglichen. Wer meint, ein Holzjollenkreuzer ist wie jeder andere, hat sich gewaltig getäuscht. Wird „Paula“ mit ihrem flachen Vorschiff, dem kleinen Kajütaufbau, dem niedrigen Freibord und der moderaten Breite von den meisten schon als zierlich empfunden, so ist „Ronja“ bei gleicher Länge mit ihren 1,86 Metern Breite noch um einiges winziger. Um es mit Frauengrößen auszudrücken, trägt „Paula“ eine 38, dann braucht „Ronja“ höchstens eine 34. Die beiden sind in Ribnitz-Damgarten gestartet und haben die Brücköffnung erwischt und jetzt unseren schönen Hafen für sich entdeckt. Auf dem Bodden soll schon ganz schön was los gewesen sein. Wir glauben fest, dass es schon nicht so schlimm werden wird und legen ab Richtung Barth. Mit dem Jockel geht es den Zingster Strom runter. Die Böen, die es bis hierher schaffen, haben sich schon ganz schön gewaschen. Der Plan sieht vor, dass wir nur mit der kleinen Fock bei halbem Wind genau Richtung Barther Hafen huschen. Aus dem Strom kommend müssen wir noch eine Tonne runden und dann ab ins Fahrwasser Richtung Süden. Genau an dieser super engen Stelle macht sich ein Ausflugsschiff so richtig dick. Son Schiet, rum um die Tonne geht nicht, also ausweichen und hoffen, dass es nicht gleich flach wird. Im Fahrwasser dann Fock raus, Pinne zwischen die Beine, den Außenborder aus und hochklappen. Nur eine kurze unachtsame Sekunde, es kracht so heftig im Schiff, dass ich denke, es reißt uns den Schwertkasten aus dem Rumpf. Ein seitlich anrollender Kaventsmann hat uns mit einem heftigen Schlag ins Flache versetzt. Immer wieder wird „Paula“ angehoben und unsanft auf Grund gesetzt. Schwert hoch, Fock rein, Außenborder wieder an. Das Ruder ist jetzt erst einmal hin. Dieses Mal ist nicht etwa das Fall gerissen, sondern es hat sämtliche Niederhalterbeschläge rausgerissen und verbogen. Da ist erst mal nichts zu wollen. Nur mit dem Außenborder geht es wieder zurück ins Fahrwasser. Was dann kommt, habe ich noch nicht erlebt. Zwar ist das Schwert wieder unten, aber das Ruder hängt nutzlos im 90-Grad-Winkel hinten dran. Diese oberfiese, schlammige Boddenwelle ist erschreckend steil. Trotz Langschaft wird der Außenborder immer wieder aus dem Wasser gehoben und „Paula“ dreht sich auf Schlag um 90 Grad mal in die eine mal in die andere Richtung. Es ist echt zum Spucken.

In dem ringsum nur hüfttiefen Wasser habe ich zwar keine Angst zu ertrinken, aber ob „Paula“ das übersteht, da bin ich mir gerade nicht sicher. Wütend auf mich selbst befördere ich kurzerhand meinen äußerst erfahrenen Ersten Offizier zum Käpt´n und denke derweil drüber nach, ob ich mir zukünftig nicht lieber ein Hobby suche, das deutlich weniger mit Wasser zu tun hat. Naja, letztendlich schaffen wir es dann doch in den Barther Hafen. Die Box, in der wir festmachen, ist wohl eindeutig für Größeres bestimmt. Unsere Festmacher reichen in der Länge nicht bis zu den hinteren Pfählen. Was soll’s, dafür ist es windgeschützt. Erst einmal sammeln und dann weiter überlegen. So langsam gibt es einen echten Reparaturstau für „Paula“. Aber Barth haben wir unter anderem als Ziel gewählt, weil es hier einen dieser wundervollen Spielzeugläden für große Jungs gibt – einen Yachtausstatter. Erwartungsgemäß kommt dann auch kein Crewmitglied mit weniger als einem dreistelligen Betrag aus, der ordnungsgemäß in Dinge verwandelt wird, die der Segler halt so braucht. Es folgen die notwendigen Reparaturen und einige konstruktive Verbesserungen. „Paula“ bekommt einen neuen Verklicker, den alten hat der Sturm selbstständig abmontiert und es gibt endlich eine Klemme für den Ruderniederhalter, die unter hoher Belastung selbständig aufgeht.

Dann Stadtbesichtigung mit Kirchturmbesteigung, Eisessen auf dem Marktplatz und ein echtes Highlight: die Schiffswerft Rammin. Die Werft ist vor allem bekannt als Zeesboot-Retter. Hier wurde schon vielen dieser alten Fischerboote ein neuer Lebensfunke eingesetzt. Aber auch die Herreshoff-Yacht Bounty vom Hanse-Chef Michael Schmidt bekommt hier die Pflege, die ihr zusteht. Wir bekommen die Erlaubnis, uns auf dem Gelände und den Stegen ein wenig umzusehen. Es ist zum feuchte Augen kriegen. So viele Holzboot-Schönheiten auf einem Haufen. Man könnte denken, hier ist ein großes Klassikertreffen. In einer Zelthalle treffe ich auf einen echt heruntergekommenen Drachen. Aber trotz all des beschädigten Holzes funkelt die alte Schönheit durch. Scheinbar vom Wahnsinn befallen erkundige ich mich nach dem Teil. Gott sei Dank, das Projekt ist schon für einen Kunden in Arbeit. Also kann ich ohne schlaflose Nächte das Werftgelände wieder verlassen. Außer dass der Liegeplatz uns gut vor dem Wind schützt und der Hafenmeister super nett ist, lässt sich nicht viel Gutes über die riesige nagelneue Marina sagen. Es gibt ein großes modernes Hafenmeistergebäude, direkt an der Wasserkante, einen riesigen neu gestalteten Hafenvorplatz und eine Hafenpromenade mit Geschäften, Cafés und Restaurants, aber gemütlich ist halt anders. Da es am nächsten Tag noch weiter kacheln soll, sind unsere Optionen etwas eingeschränkt. Gegen den starken Ostwind durch die Boddenlandschaft raus kreuzen müssen wir abwählen. Noch eine Nacht in Barth möchte aber auch niemand. Also nehmen wir uns vor, gleich ganz früh am nächsten Morgen, wenn der Wind noch schläft, wieder nach Zingst in unseren gemütlichen Hafen zu verholen.

Die kurze Überfahrt am nächsten Morgen wird wenig spektakulär. In unserem kleinen Lieblingshafen finden wir wieder ein geschütztes Plätzchen und vor allem Leihfahrräder. Also ein Land-Tag. Eine echte Herausforderung für die Crew unseres Begleitbootes. Traditionell bewegen sich die Herren im Segelurlaub ohne Not nicht weiter als 100 Meter vom Boot weg. Das versprochene Naturerlebnis und ein in Aussicht gestellter Eisbecher können dann doch locken und so geht es mit den Rädern durch den Darßer Urwald bis zum Leuchtturm am Weststrand. Dort gibt es dann Programm: rauf auf den Leuchtturm, Nationalparkausstellung anschauen, ausgedehnter Strandspaziergang, Badengehen in der 13 Grad kalten Ostsee und später gibt’s dann noch den versprochenen Eisbecher. Zum Abendbrot gibt es frisch geräucherten Fisch vom Fischer und ein paar Biere auf dem Holzsteg. Rundherum ein Sommertag, um am späten Abend irgendwann zufrieden ins Bett zu fallen. Der Plan für den nächsten Tag: Kurs Ost.

Der nächste Morgen hat Gold im Mund, es geht für unsere Urlaubsverhältnisse ziemlich früh raus. Nützt ja nichts. Bevor der Wind am Nachmittag wieder richtig aufdreht, müssen wir die Boddengewässer zwischen der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst abgehakt haben. Mit dem Quirl bolzen wir stundenlang genau gegen an. Halb taub und mürbe vibriert sind wir froh, als wir aus den engen Fahrwassern auf die freie Ostsee rauskommen und endlich wieder die Segel ziehen lassen können. Es ist noch recht früh am Tag und wir segeln vor der Küste ein bisschen rum und genießen still.

Am Nachmittag gucken wir uns wieder eine Buhnenreihe aus und im Windschatten der Insel Hiddensee chillen wir, was das Zeug hält. Der Gedanke, dort über Nacht zu bleiben, ist zwar angenehm, wird aber verworfen. Zu groß scheint uns die Gefahr, dass wir dort am Strand festhängen könnten, wenn sich das Wetter ändert und der Wind vielleicht weiter Richtung West dreht. Ziel für den Abend: der Hafen Barhöft. Die Entscheidung ist richtig. Nicht wegen des Wetters, sondern in dem gemütlichen Hafen ist am Abend noch richtig was los. Mit Geige und Schifferklavier feiert die Crew eines größeren Zweimasters eine Tanzparty auf der Pier. Parallel beobachten wir das beeindruckende Einlaufen des Seenotrettungskreuzers Theo Fischer inklusive Aufnahme des Tochterbootes. In dem kleinen Hafen wirkt der weiß-orange Lebensretter echt gigantisch. Seit die Zufahrt zum ursprünglichen Liegeplatz im Nothafen am Darßer Ort nicht mehr feigebaggert wird, ist der Kreuzer vorläufig in Barhöft stationiert. Das ist zwar spannend für uns, aber für das viel befahrene Gebiet der Kadettrinne vor der Halbinsel bedeutet dies eine echte Gefahr: Für die Seennotretter hat sich damit die Anfahrt des stark gefährdeten Gebietes um Stunden verlängert.

Auch „Ronjas“ Crew hat sich an diesem Abend für denselben Hafen entschieden und legt sich gleich in die Nachbarbox. Der im Zingster Hafen begonnene Gesprächsfaden ist schnell wieder aufgenommen und wird über den Abend noch weitergesponnen. Fast zwei Wochen haben die beiden zusammen mit ihrem sehr ursprünglichen Boot noch vor sich. Uns steht der pure Neid im Gesicht. Das Ende unserer Herrentour ist schon deutlich zu sehen, aber zwei Tage sind uns noch gegönnt.   

Rund Hiddensee steht noch einmal auf dem Programm, dieses Mal mit Zwischenstopp. Wieder die Westküste lang, rund ums Eck und am frühen Nachmittag peilen wir dieses Mal den kleinen Inselhafen Kloster an. Von den drei Häfen der Insel Hiddensee ist dieser am kleinsten, aber auch am gemütlichsten, trotz Vorsaison, also Päckchenliegen. Niedlich ist der kleine Ort am Fuße des Hiddenseer Hochlandes. Alle vier Ortschaften auf der Insel sind charmant. Jede hat ihren eigen Charakter. Kloster hat die Rolle des kulturellen Zentrums abbekommen. Hier gibt es das kleine Inselmuseum, das unter anderem eine Replik des Hiddenseer Goldschatzes zeigt, eines wertvollen Goldschmucks aus der Wikingerzeit. Im 19. Jahrhundert fanden Hiddenseer Fischer den Schatz nach einer Sturmflut am Strand und verkauften ihn in Stralsund. So ist das Original bis heute im Kulturhistorischen Museum Stralsund zu bewundern. In Kloster hat schon Gerhart Hauptmann mit seiner Familie und vielen prominenten Freunden und Kollegen seine Sommerfrische verbracht. Sein noch original eingerichtetes Sommerhaus ist heute als Gerhart-Hauptmann-Gedenkstätte zu besichtigen. Der Tag ist noch jung, also gibt es wieder ein ausgiebiges Kulturprogramm: Museum, Hauptmann und dann nichts wie rauf auf den Leuchtturm am Dornbusch. Ein wirklich berauschender Blick von dort oben. Winzig ziehen weit unten vor der Steilküste ein paar weiße Segel vorbei. Bestimmt haben uns von hier oben auch sehnsüchtige Blicke begleitet. Dann geht es an der Außenküste noch mal ins Wasser. Es ist nach wie vor zum Bibbern kalt.    

Wieso muss eigentlich immer derjenige im Päckchen ganz innen liegend am frühesten los? Als es bei uns klopft, ist es noch sehr früh. Wenn wir ohnehin schon hoch müssen, dann können wir auch gleich los. Von dem ganzen Wind der letzten Tage ist jetzt am Morgen nur ein sehr laues Lüftchen übrig geblieben. Unter diesen Bedingungen gibt es auch mal auf einem Jollenkreuzer Frühstück unterwegs. Ziemlich früh laufen wir dann unser Tagesziel an, den Stralsunder Hafen. Das stellt sich als Glück heraus. In der Hansestand ist die Stralsund-Sail, ein ziemlich gut besuchtes Segelevent mit Volksfestanschluss. Wir finden im proppenvollen Hafen doch noch zwei passende Boxen nebeneinander. Wer später kommt, muss ganz schön suchen und wer noch später kommt, hat schon mal Pech. Nach all der Ruhe und Natur in der vergangenen Woche findet der Herrentörn hier ein feuchtfröhliches Ende. Natürlich erst nach einem ausgiebigen Stadtbummel durch die mittelalterlich geprägte Weltkulturerbestadt.   

Der verkaterte Morgen bringt den Abschied. Erst den Abschied von der Flotte im Hafen. Der größte Teil der Boote läuft geschlossen aus zur Regatta rund Hiddensee. Naja, das hatten wir ja schon. Unser Neid begleitet die Glücklichen dennoch. Für uns bringt der Morgen einen weiteren Abschied, den von unserem Törn. Wir warten die Brückenöffnung ab, dann geht es, ohne eine Hand nach dem Regattasilber auszustrecken, in die andere Richtung Greifswalder Bodden. Auf der Zielkreuz vor dem Aus geben wir noch mal alles und „zersägen“ erfolgreich eine Holzfolke mit Damencrew. Ist vielleicht nicht ganz fair, aber es ist doch immer wieder schön, wenn man schneller ist als andere. Als wir den Fahrwasserabzweig Marina Neuhof erreichen, können wir noch nicht gleich einbiegen. Zu schön ist wieder dieses anhaltend tolle Frühsommerwetter, mit strahlendem Sonnenschein und angenehmen drei Windstärken. Eine wundervolle Stunde Segelei schenken wir uns noch. Dann ist endgültig Schluss. Ausladen, Mast legen, rauf auf den Trailer. Auf der Rückfahrt überlegen wir uns schon mal die Tour für einen neuen Herrentörn im nächsten Sommer.

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